Hochwasser in Laufen: Bitte vergesst uns nicht!

Titelstory im „Standpunkt der Wirtschaft“, Nr. 220 vom 18. September 2007

Interview mit betroffenen Gewerblern aus dem Stedtli

Der Schock über das Hochwasser, das Laufen in der Nacht auf den 9. August innert Minuten unter Wasser gesetzt hat, sitzt im Stedtli noch immer tief. Nur langsam kehrt wieder das gewohnte Leben in die einst pulsierende Geschäftsstrasse. Zwei Wochen nach den verheerenden Fluten sprach der «Standpunkt» mit Landrätin Juliana Nufer, Präsidentin Gewerbeverein KMU Laufental, und Roland Niederberger, Präsident IG Laufen. Beide KMU-Organisationen helfen mit einer Vielzahl von jetzt nützlichen Dienstleistungen, wo sie können.

Die Geschäftsräumlichkeiten von Treuhänderin Juliana Nufer gleichen einem Bienenhaus. Ständig läutet das Telefon. Beim Interviewtermin treffen wir verschiedene vom Hochwasser geschädigte Gewerbetreibende, die ihr Schicksal auf eindrückliche Weise schildern. Sie sind froh, dass sie darüber sprechen können.
Die eigentlichen Probleme zeichnen sich erst allmählich ab. Laufen und die betroffenen Geschäftsinhaber werden noch einige Zeit mit der Bewältigung des Hochwassers und mit dem Wiederaufbau beschäftigt sein. Die Hauptsorge von allen Gewerbetreibenden – insbesondere aber Ladenbesitzern lautet jedoch: Bitte vergesst uns nicht!

Standpunkt: Wie hat der Gewerbeverein KMU Laufental auf die Katastrophe reagiert?
Juliana Nufer: Als Gewerbeverein decken wir das ganze Laufental ab. Die betroffenen Geschäfte im Stedtli sind in erster Linie in der IG Laufen organisiert. Es war schlicht ein Gebot der Solidarität, dass unser Verein aktiv wurde. In einer ersten Spontan-Aktion organisierten wir einen Lagerraum, den Geschädigte nutzen konnten.

Wann kam die IG Laufen ins Spiel?
Nufer: Bereits einen Tag nach dem Hochwasser suchte ich den Kontakt mit IG-Präsident Roland Niederberger.
Roland Niederberger: Ich war zuerst mit der eigenen Situation beschäftigt. Meine Bäckerei samt Laden und Café stand komplett unter Wasser. Insofern war ich sehr dankbar, dass Juliana Nufer von sich aus auf mich zugekommen ist. Die Hilfe und das spontane Kooperationsangebot seitens des Gewerbevereins nahm ich natürlich sehr dankbar entgegen. Gerade in solch aussergewöhnlichen Situation müssen wir doch zusammenstehen.
Nufer: Das gemeinsame Agieren von IG Laufen und KMU Laufental ist in dieser schwierigen Situation sehr wichtig. Dabei ist es für uns selbstverständlich, dass wir die IG mit allen Kräften unterstützen. So stellen wir in meinen Geschäftsräumlichkeiten für alle betroffenen Gewerbetreibenden die administrative Infrastruktur und sämtliche Kommunikationsmittel zur Verfügung, machen erforderliche Abklärungen und wirken als eigentliche Informationsdrehscheibe.

Welches sind jetzt Ihre wichtigsten Aufgaben?
Nufer: Wir publizieren einen gemeinsamen Newsletter mit den neuesten Informationen, mit Aufrufen und verschiedenen nützlichen Dienstleistungsangeboten. Dieser Newsletter wird jeweils im Stedtli in Papierform verteilt respektive an geeigneten Stellen angeschlagen. In diesem Zusammenhang haben wir auch zentrale Infosäulen aufgestellt. Selbstverständlich ist der Newsletter auch via Internet abrufbar unter www.kmu-laufental.ch, was insbesondere von den Nichtbetroffenen genutzt werden kann. Dort soll er vor allem sensibilisieren und allfällige Hilfsangebote auslösen.

Welche Reaktionen lösten Ihre Aktivitäten aus?
Nufer: Anfänglich gab es keine Reaktionen, mittlerweile – nachdem der erste Schock vorüber ist und sich das Ausmass der Schäden allmählich abzeichnet – melden sich immer mehr Betroffene.
Niederberger: Bis jetzt waren wir mit uns selber beschäftigt. Es musste aufgeräumt werden. Es galt, erste Notmassnahmen zu treffen und das Leben neu zu organisieren. Nun, wo man warten muss, bis die Räume getrocknet sind, und man praktisch zur Untätigkeit verurteilt ist, nehmen die Bedürfnisse konkret Gestalt an und es stellen sich plötzlich viele ungelöste Fragen.

Mit welchen hauptsächlichen Problemen werden Sie konfrontiert?
Nufer: Inzwischen haben über 15 Geschäfte ihren Betrieb im Stedtli wieder aufgenommen. Jedoch: Die Kunden kommen nicht. Das Stedtli ist nach wie vor ausgestorben. Der Umsatz bleibt aus, Angestellte müssen zum Teil wieder nach Hause geschickt werden. Ausserhalb des unmittelbaren Stadtzentrums – beispielsweise bei den Grossverteilern – läuft es hingegen auf Hochtouren.
Viele Geschäfte sind eingemietet. Was tun die Hauseigentümer? Werden die Schäden nur notdürftig repariert oder findet eine Sanierung mit präventiven Massnahmen gegen künftige Hochwasser statt? Dies sind grundlegende Fragen. Hier sind die Hauseigentümer, aber auch die Versicherungen gefordert. Vor allem von Letzteren erwarte ich ein kulantes und nachhaltiges Vorgehen. Jeder Franken in die Hochwasserprävention spart den Versicherungen inskünftig viel Geld.

Sehen sie Konsequenzen im öffentlichen Bereich?
Niederberger: Sowohl an der Birs als auch bei der Alarmierung besteht dringender Handlungsbedarf. Meines Wissens fanden vor 30 Jahren die letzten Ausbaggerungen in der Birs statt. Ich meine: Die Birs muss an den heiklen Stellen häufiger ausgebaggert werden. Im Weiteren muss die Zusammenarbeit mit dem Jura verbessert werden. Dann ist die Alarmierung ein Thema. Wir benötigen dringend ein Frühwarnsystem!
Nufer: Die Gebäudeversicherung sollte die Vorschriften hinsichtlich der Öltanks überdenken. Bei fest verankerten Tanks wäre kein Öl ausgelaufen.

Es dürfte wohl auch zu wirtschaftlichen Härtefällen kommen. Vereinzelte Betriebe, die alles verloren haben, stehen womöglich vor der Existenzfrage. Wie können Sie in diesen Fällen helfen?
Nufer: Zuerst muss eine Triage erfolgen. Zweifellos wird es finanzielle Problemsituationen geben. Jeder dieser Fälle muss gründlich geprüft werden. Pauschale Lösungen wird es nicht geben. Wir verfügen über ein gutes Netzwerk – gerade auch zu Banken und Versicherungen. Unsere Aufgabe wird darin bestehen, die richtigen Kontakte zu vermitteln und die Betroffenen zu begleiten.

Wie stellen Sie sich zur Forderung von Landrat Georges Thüring, wonach der Kanton einen Katastrophenfonds einrichten soll, um in Härtefällen rasch und unkompliziert helfen zu können?
Nufer: Uns ist jede Hilfe willkommen. Und wenn der Kanton in Härtefällen eine Wirtschaftsförderung im Sinne der Existenzsicherung machen würde, wäre das super. Wir hätten sicher einige Probleme weniger. Ich bin aber skeptisch, ob diese Forderung politisch durchsetzbar ist.
Niederberger: Allerdings: Trotz der Tragik des Hochwassers kann es letztlich nicht darum gehen, dass derjenige, der bei der Versicherung gespart hat, nun Geld bekommt und für sein Versäumnis quasi «belohnt» wird, und derjenige, der eigenverantwortlich alle nötigen Vorkehrungen getroffen hat, dann der Dumme ist und keine öffentliche Unterstützung erhält.
Natürlich gibt es Situationen – gerade bei Einmann-Betrieben oder bei Jungunternehmern –, wo zum Beispiel keine Betriebs-Unterbruchversicherung abgeschlossen worden ist, weil eine unzureichende Versicherungsberatung stattfand oder weil dafür keine Mittel zur Verfügung standen. Hier stellen sich echte existentielle Probleme und in solchen tragischen Fällen muss tatsächlich nach unbürokratischen Lösungen gesucht werden.

Letztlich sind Sie wohl alle dankbar für jede Hilfe – unabhängig woher sie kommt …
Nufer: Absolut. Einerseits muss jedes Schicksal individuell beurteilt werden. Andrerseits geht es darum, dass möglichst viele Situationen aufgefangen werden können. Man kann nicht alles über eine Leiste schlagen. Alle bestehenden Möglichkeiten – Lotteriefonds, Wirtschaftsförderungsfonds, Promotion Laufental, Glückskette – müssen ausgeschöpft werden.

Welches sind nun Ihre nächsten Schritte?
Nufer: Insgesamt 140 Gewerbebetriebe sind vom Hochwasser direkt betroffen. Alle erhalten von uns einen ausführlichen Fragebogen, mit dem wir die Schadensituation und die konkreten Bedürfnisse erfassen wollen. Gestützt auf diese Daten werden wir – IG, Gewerbeverein und Promotion Laufental – bei den Behörden, der Wirtschaftsförderung und bei den Versicherungen vorstellig werden und versuchen, für die Betroffenen vernünftige Lösungen zu erzielen.
Gleichzeitig müssen wir alle Nichtbetroffenen weiter sensibilisieren. Auf unserer Homepage, bei Laufen Info und im Wochenblatt publizieren wir laufend alle Geschäfte, die ihre Tätigkeit wieder aufgenommen haben. Damit verbinden wir den Aufruf an die Bevölkerung: Kommt ins Stedtli, kauft in den wieder geöffneten Läden ein. Die beste Hilfe – moralisch und wirtschaftlich – findet durch einkaufende Kunden statt.
Niederberger: Wichtig ist, dass möglichst alle Betriebe ihre Tätigkeit raschmöglichst wieder aufnehmen können. Das Leben muss ins Stedtli zurückkehren. Insofern sind nun auch alle Handwerker aus dem Laufental und Schwarzbubenland gefordert. Die Zeit ist wichtiger als Konkurrenzdenken. Alle Anbieter – Maler, Schreiner, Gipser, Elektriker usw. – müssen nun zusammenstehen und die nötigen Arbeiten unter sich aufteilen. Es hat für alle genug Arbeit.
MWB.

Standpunkt Nr. 220

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