«Jetzt sind endlich rasche Massnahmen nötig»

Story im «Standpunkt der Wirtschaft», Nr. 238 vom 5. September 2008

Stedtli lebt wieder: Landrätin Juliana Nufer (l.) und Roland Niederberger in Laufen

Laufner KMU fordern nach dem Hochwasser im Sommer 2007:
«Jetzt sind endlich rasche Massnahmen nötig»

Anfang August 2007 wütete das Hochwasser in Laufen. Das Stedtli bot einen trostlosen Anblick. Die Jahrhundert-Flut richtete verheerende Schäden an und bedrohte viele Betriebe in ihrer Existenz. Wie sieht die Situation nach einem Jahr aus? Den Standpunkt-Fragen stellen sich – wie vor einem Jahr – Landrätin Juliana Nufer, Präsidentin Gewerbeverein Laufental, und Roland Niederberger, Präsident der IG Laufen.

Standpunkt: Vor einem Jahr reagierten der Gewerbeverein Laufental und die IG Laufen sofort, bildeten eine Task-Force, boten verschiedene Hilfestellungen an und sorgten für Informationen. War diese Reaktion angemessen, was konnten Gewerbeverein und IG bewirken?
Juliana Nufer:
Wir haben das einzig Richte getan. Dies bestätigen uns die Reaktionen im Nachhinein. Das Hauptproblem war die Kommunikation, was übrigens auch vom Regionalen Führungsstab Laufental in seinem soeben veröffentlichten Bericht bestätigt wird.

Es war also wichtig, dass den vom Hochwasser Betroffenen eine zentrale Anlaufstelle zur Verfügung stand, wo sie sich laufend informieren konnten?
Nufer:
Genau, wobei keine «Menschenmassen» auf uns zugekommen sind. Verständlicherweise, denn die Betroffenen hatten genug eigene Sorgen, mussten aufräumen und sich mit den Schäden vor Ort auseinandersetzen. Unser wichtigstes Kommunikationsmittel waren Info-Blätter,die wir an Ladentüren und an zentralen Stellen angebracht haben.
Roland Niederberger: Kein Zweifel: Die Kommunikation war ein ganz wichtiger Punkt.Vor allem in den ersten Tagen der Katastrophe, wo vieles drunter und drüber ging und grosse Hektik herrschte. Kein Ladengeschäft im Stedtli blieb von der Flut verschont. Die Auswirkungen waren grauenhaft. Unser Engagement führte schliesslich zu weiteren Informationsaktivitäten. So bildeten sich in den Gassen und auf den Schadenplätzen eigene Informationsplattformen. Es war wichtig, dass die Leute wussten, dass man sie nicht ihrem Schicksal überliess, sondern dass es Möglichkeiten gab, wo sie sich mit anderen austauschen konnten.

Gab es weitere Hilfestellungen seitens Gewerbeverein und IG?
Nufer:
Wir stellten Räumlichkeiten und Büroinfrastruktur zur Verfügung, was aber kaum genutzt wurde. Als die Behörden aktiv wurden, sorgten wir für die nötigen Inputs, blieben aber als Organisationen im Hintergrund. Wir wollten uns nicht im Sog des Hochwassers profilieren.
Mit anderen Worten: Die Betroffenen waren mit ihrer ureigenen Situation derart beschäftigt, dass sie für anderes gar keine Zeit hatten!
Niederberger: Ich war mit meiner Bäckerei in der Hauptstrasse selber direkt betroffen und kann dies nur bestätigen. Trotzdem: Die Infos waren sehr wichtig. Viele haben sie gelesen und waren dankbar dafür. Gewerbeverein und IG haben absolut zweckmässig reagiert.

Herr Niederberger, würden Sie als IG-Präsident bei einem solchen Ereignis wieder gleich reagieren?
Niederberger:
Als Präsident ja, aber als Geschäftsinhaber sicher nicht. Ich hätte schlicht nicht mehr die Kraft dazu. Es war eine enorme Belastung. Trotz einer sehr guten Versicherungsdeckung war die Wiederherstellung meines total zerstörten Betriebes mit einem enormen physischen und psychischen Druck verbunden. Das erträgt man einmal im Leben, aber sicher nicht mehrere Male.

Ist es richtig,dass es heute mehr Ladengeschäfte und Betriebe in der Hauptstrasse gibt als vor dem Hochwasser?
Niederberger:
Das ist so. Im Laufner Zentrum bieten heute 112 Geschäfte – fünf mehr als vor dem Hochwasser – ihre Waren und Dienstleistungen an. Nicht wenige Ladengeschäfte haben die Sanierung dazu genutzt, ihre Betriebe zu erweitern und neue Konzepte zu entwickeln.

Sind Geschäfte verschwunden?
Niederberger:
Ein Lederwarengeschäft und eine Bijouterie haben ihre Tätigkeit nicht mehr aufgenommen. In beiden Fällen war die altersbedingte Betriebsaufgabe so oder so absehbar. Das Hochwasser hat diesen Prozess beschleunigt.

Im Interview vor einem Jahr forderten Sie: Bitte vergesst uns nicht! Die damaligen Befürchtungen haben sich nun nicht eingestellt, das Stedtli erblüht in neuem Glanz. Was ist heute anders als vor dem Hochwasser?
Niederberger:
Der Aufruf «Bitte vergesst uns nicht» war während der Wiederaufbauphase notwendig. Denn bereits früh, als die enormen Schäden noch sichtbar waren und die Hauptstrasse insgesamt ein trostloses Bild bot, haben verschiedene Geschäfte ihren Betrieb – zumindest behelfsmässig – wieder aufgenommen. Diese Geschäfte brauchten Umsatz, damit sie weiter existieren konnten.
Laut einer Umfrage, die wir innerhalb der IG durchgeführt haben, können wir heute feststellen, dass es im Vergleich zur Zeit vor dem Hochwasser praktisch keine Umsatzeinbussen gibt. Im Gegenteil, vielerorts können sogar Steigerungen verzeichnet werden. Im Gegensatz zu früher frequentieren heute zum Beispiel viele Kunden aus dem Jura das Stedtli. Das Hochwasser hat zu einem Bekanntheitsgrad geführt, von dem wir nach wie vor profitieren.
Nufer: Als «Aussenstehende» – mein Treuhandbüro befindet sich am Rande von Laufen – stelle auch ich fest, dass das Stedtli heute einen frischen, modernen Eindruck hinterlässt. Das Hochwasser führte zu einer regelrechten Aufbruchstimmung. Es hat etwas Nachhaltiges stattgefunden. Das entstandene Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Gewerbetreibenden hält an. Es herrscht ein erfreulicher Geist, den natürlich auch die Kunden spüren.

Bei einem erneuten Hochwasser: Was wäre anders als vor einem Jahr?
Nufer:
Die Flut käme genau gleich. Nötige bauliche Massnahmen, welche den Wasserverlauf verändern würden, erfolgten bislang nicht. Bei den Sanierungen wurde nicht darauf geachtet, dass die Häuser besser geschützt sind, sondern man stellte – abgesehen von wenigen Einzelfällen – einfach den ursprünglichen Zustand wieder her. Im Moment müssen wir wohl oder übel auf die Behörden – insbesondere auf den Kanton – warten und hoffen, dass so lange kein neues Hochwasser kommt, bis die erforderlichen Massnahmen ergriffen worden sind …
Niederberger: Man weiss heute, was nötig ist und was man nicht tun muss. Ich persönlich würde beispielsweise nicht mehr während drei Stunden Sandsäcke stapeln,was bei einer bereits im Gange befindlichen Überflutung völlig sinnlos ist. Die Situation mit dem auslaufenden Heizöl wäre allerdings nicht mehr so gravierend, weil sehr viele Betriebe und Private im Rahmen der Sanierung auf Gas umgestellt haben. Und die Alarmierung und die Kommunikation würden künftig sicher besser funktionieren.

Die Publikation des kantonalen Hochwasserberichtes verzögert sich weiter. Konkrete Massnahmen, um eine solche Flut zu verhindern bzw. deren Auswirkungen einzudämmen, können offensichtlich erst in zehn Jahren realisiert sein. Ihr Kommentar dazu?
Nufer:
Diese Situation ist sehr unbefriedigend und beunruhigt uns natürlich. Laut den zuständigen kantonalen Stellen besteht das Hauptproblem in der geltenden Gesetzgebung. So müssen die Grundeigentümer entlang der Birs bei baulichen Massnahmen 20 Prozent der Kosten mittragen. Dies betrifft natürlich zig Parzellen und bedarf sehr langwieriger Verhandlungen.
Niederberger: Erstaunlich für mich ist, dass die Versicherungen, die zig Millionen Franken bezahlen mussten und kaum ein Interesse an einer erneuten Katastrophe haben können, nicht mehr Druck auf den Kanton und die Gemeinde ausüben, damit rascher gehandelt wird.

Fehlt der politische Wille dazu?
Nufer:
Offenbar. Ich bin sicher,dass alles rascher gehen könnte. Natürlich braucht es Machbarkeitsstudien und dergleichen. Das Ganze muss aber beschleunigt werden. Wahrscheinlich muss vom Landrat aus verstärkt Druck auf Regierung und Verwaltung ausgeübt werden. Zudem sind noch Antworten und Berichte zu parlamentarischen Vorstössen hängig.
Ich erwarte von der Regierung, dass sie ihre Führungsverantwortung wahrnimmt, dass sie umgehend Mittel und Wege aufzeigt, damit das Ganze beschleunigt werden kann. Es darf tatsächlich nicht zehn Jahre dauern. Gemeinde und Kanton müssen zusammenarbeiten. Es bringt zu wenig, wenn nun die Gemeinde von sich aus Vorkehrungen trifft.

Das «Hochwasser» ist also auch für den Gewerbeverein Laufental und die IG Laufen noch nicht erledigt?
Niederberger:
Auf keinen Fall! Wir müssen Einfluss nehmen und die Behörden auf Trab halten, damit endlich etwas geschieht. Der Aufruf «Vergesst uns nicht!» richtet sich heute an die Amtsstellen in Liestal.
Nufer: Nicht nur die Blaulichtorganisationen, Gemeinde und Kanton, sondern auch IG und Gewerbeverein so wie der Industrieverein Laufen, der lokale Hauseigentümerverein und natürlich auch eine Vertretung von privaten Betroffenen gehören an den runden Tisch, der von Liestal in Aussicht gestellt worden ist. Gemeinsam müssen nun pragmatische, rasch umsetzbare Massnahmen erarbeitet und realisiert werden, damit das Stedtli hochwassersicher wird.
Niederberger: Mich stört der politische Hickhack, der gegenwärtig stattfindet. Gegenüber den Gewerbetreibenden und den Menschen, die vom Hochwasser betroffen waren und wieder sein könnten, ist dies ein Hohn, ja eine Frechheit. Bei jedem längeren Regenfall kommen die Erinnerungen und die Menschen in Laufen haben wieder Angst …
Interview: Marcel W. Buess

Standpunkt Nr. 238

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